Ganztagesschule 2007 / 2008

Mehr als nur büffeln und pauken

Während im Schulhof mehrere Jungs damit beschäftigt sind, Netze fürs Street-Tennis quer über den Schulhof zu spannen, geht in Haus G die Post ab: Musik dröhnt durch die Gänge, im Aktivraum herrscht quirliges Gedränge unterm großen Schwungtuch, Kinder rennen umher oder sind ins PC-Spiel oder Malen versunken. In all dem kreativen Durcheinander versuchen die Mädchen von Lic – Lesen ist cool – ein paar Zuhörer für ihre Lesung „Fußballregeln für Mädels“ in der Bücherei zu gewinnen. Dieses Unterfangen gestaltet sich bei schönstem Wetter jedoch äußerst schwierig, auch wenn die Deko mit Fahne und Rasen-T-Shirt stimmt, denn zu allem Überfluss stehen auf der Terrasse der Mensa seit geraumer Zeit Bistrotische, die zum gemütlichen Plausch oder Müßiggang in der Sonne einladen.

So oder so ähnlich verläuft täglich von Montag bis Donnerstag die Mittagspause im Schulzentrum in Oberlenningen, seit dort mit diesem Schuljahr das offene Ganztagesmodell eingeführt wurde. Über 80 Schülerinnen und Schüler der Klassen fünf und sechs von Real-, Haupt und Förderschule haben sich dafür verbindlich angemeldet. Das leckere Essen in der Mensa lassen sich aber auch all diejenigen Schüler schmecken, die am Nachmittag noch Unterricht haben und sich die Busfahrt, beispielsweise nach Schopfloch oder Hochwang, ersparen – und auch manche Lehrer nehmen dieses Angebot ganz gerne an.

Damit bei all den tatenhungrigen Ganztagesschülern nichts aus dem Ruder läuft, bedarf es allerdings zahlreicher Betreuerinnen und Betreuer. Auch wenn sich Ministerpräsident Günther Oettinger in Wahlkampfzeiten gerne mit dem Attribut Kinderland Baden-Württemberg schmückt, sieht das in der Praxis etwas anders aus. Gerade einmal sechs Lehrerstunden pro Woche – vier für die Hauptschule, zwei für die Realschule – stehen in Lenningen für die Ganztagesschule zur Verfügung. Da aber die Kinder nicht sich selbst überlassen werden können, haben sich Schule und Gemeinde zwei Partner mit ins Boot geholt: die Familien-Bildungsstätte Kirchheim, die ihren Schwerpunkt von 12 bis 14 Uhr hat, und den Kreisjugendring (KJR) Esslingen mit der Offenen Schulbezogenen Jugendarbeit Lenningen, der den Nachmittag gestaltet und dazu noch viele andere Aufgaben und Angebote hat, beispielsweise den Offenen Treff (Olé), der dienstags von 16 bis 18 Uhr und freitags von 14 bis 18 Uhr stattfindet.

Diese hauptamtlichen Mitarbeiter sind aber wiederum auf Ehrenamtliche angewiesen. In der Mensa arbeiten rund 100 Mütter unter der Federführung von Küchenchefin Margret Schade mit, dazu kommen über 30 Jugendbegleiter. Deren Reihen sind bunt gemischt: Rentner, Eltern, engagierte Bürger und Schüler der Klassen neun und zehn der Realschule. „Wir sind an weiteren Jugendbegleitern interessiert, die Lust haben, sich einzubringen mit dem, was ihnen am Herzen liegt. Hier können sie sich und ihr Hobby verwirklichen“, sagt Ivonne Bäßler von der Offenen Schulbezogenen Jugendarbeit Lenningen im Hinblick auf das kommende Schuljahr. Dann erweitert sich die Ganztagesschule um Klassenstufe sieben, sprich, die jetzigen Jahrgänge bleiben den Betreuern erhalten und die neuen Fünftklässler kommen dazu.

„Nach einem Jahr sind wir an dem Punkt angekommen, wo ein gemeinsames Spiel möglich ist“, freut sich die KJR-Mitarbeiterin. Zwischenzeitlich kennen sich die Ganzttagesschüler untereinander und respektieren sich, egal von welcher Schulart oder welcher Gemeinde sie kommen und welcher Jahrgangsstufe sie angehören.

Das Angebot von KJR und FBS ist bunt gemischt. Wing Tsun, eine weiche Kampfkunst, ist beispielsweise bei den Schülern sehr gefragt. Bei „Kreativ“ können die Schüler malen, spielen, töpfern und vieles mehr. Es gibt Yoga, Tischtennis, eine Filzwerkstatt, Singen und Gitarrenspielen, Fußball und, und, und. Eines ist allen Mitarbeiten wichtig: Ein offenes Ohr für die Kinder. „Die Schüler sollen sich in der Ganztagesschule wohlfühlen“, sagt Iris Streng von der FBS. Sie versteht sich als Bindeglied und Vermittlerin, als eine Bezugsperson, die irgendwo „zwischen Lehrer und Mama“ steht. „Wir erfahren ein bisschen mehr als die Lehrer“, weiß sie aus Erfahrung – und bei ihr holen sich die Schüler auch die eine oder andere Streicheleinheit ab. Dieses Vertrauen musste jedoch erst wachsen und Iris Streng sieht sich noch nicht am Ziel angekommen. „Die Schüler sollen merken, dass Schule auch Spaß machen kann und sie letztendlich stolz auf sie sind“, sagt sie.

Doch nicht nur Fun ist in der Ganztagesschule angesagt. Nach der Mittagspause, die jeder zum Essen, spielen, toben oder erholen nutzen kann, steht von 13.30 bis 14.30 Uhr das selbstorganisierte Lernen auf dem Programm. Hier werden unter Aufsicht die Hausaufgaben erledigt oder Unterrichtsstoff nachgearbeitet. „Mit Hausaufgabenhilfe hat das bei bis zu 20 Kindern in einer Gruppe nichts zu tun“, stellt Iris Streng klar. Nach 14.30 Uhr finden dann bis 16 Uhr entweder Regelunterricht, AGs oder Angebote durch den KJR statt.

Damit wird deutlich, wie lang der Tag für die Ganztagesschüler ist, denn er beginnt mit der ersten Unterrichtsstunde um 7.45 Uhr. Vor allem die Fünftklässler stoßen da manchmal an ihre Grenzen. Wer in Erkenbrechtsweiler wohnt, hat dann den Fußmarsch zum Busbahnhof einschließlich der Fahrt nach Hause noch vor sich. „Wenn die Kinder gegen 17 Uhr zu Hause sind, ist die Luft raus“, ist sich Erich Merkle, Leiter der Hauptschule, bewusst. Wer dann noch ins Training oder zur Probe muss, erledigt danach nichts mehr für die Schule.

Deshalb bedauern er und Klaus Erlenmaier, Rektor der Realschule, dass das derzeitige Programm der Ganztagesschule eine „gewisse Freizeitlastigkeit“ hat. „Wir wollen umsteuern“, sind sie sich einig. So sollen Lernangebote und Lernwerkstätten in Zukunft mehr Gewicht bekommen. Eine Experimentier-AG und Lernunterstützung in den Hauptfächern ist ihrer Ansicht nach wünschenswert. „Die Schüler sollen das Gefühl haben, sie haben hier etwas für die Schule getan, um dann ohne schlechtes Gewissen ihren Freizeitaktivitäten nachgehen zu können“, sagt Klaus Erlenmaier. Bei einer Umfrage hat sich herausgestellt, dass sich etwa die Hälfte der Schüler mehr Lernangebote wünscht.

Nach fast einem Jahr ziehen die beiden Rektoren eine positive Bilanz. „Wir können zufrieden sein“, sagen sie. Optimistisch hätten sie mit der Arbeit begonnen, die mit viel Aufwind weitergeführt worden sei. „Jetzt kommen wir aber an gewisse Punkte“, so die Lehrer. Ihr Schwerpunkt ist klar das Lernen. Dies nur auf Ehrenamtliche abzuwälzen kommt für sie jedoch nicht in Frage. „Ehrenamt braucht Hauptamt“, stellen sie unmissverständlich klar. Dies umsetzen zu können, liegt jedoch nicht in der Entscheidungsgewalt der Rektoren, hier ist die Politik des Landes am Zug.